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Freitag, 18. August 2017

„Auge merkt sich unheimlich viel“

Porträt der Sozialpädagogin Miriam Winklmann, die zu hundert Prozent schwerbehindert ist

„Gottseidank ist das nur zweimal im Jahr notwendig“, stößt Miriam Winklmann voller Inbrunst aus. Die Sozialpädagogin betreut in der Niederlassung Schwandorf zwei Maßnahmen für über 30 Menschen, darunter viele mit gesundheitlichen oder anderen Einschränkungen. Diese leitet sie an, unterstützt und berät sie und manchmal muss sie auch jemanden aufgefangen. Zweimal jährlich erstellt sie über ihre Arbeit Berichte für Jobcenter oder Arbeitsagentur. „Das ist schon sehr anstrengend für mich“, stöhnt die 35-Jährige, „um zwölf Uhr bin ich dann fertig!“ Stundenlang klebt die sehbehinderte Sozialpädagogin bei dieser Arbeit mit der Nase am Computerbildschirm. Mit einem Restsehvermögen von fünf Prozent auf jedem Auge werden längere Schreibstücke regelmäßig zur Belastung.

Da nutzen auch technische Hilfsmittel zur Vergrößerung der Schrift und ein Scanner, der Schriftstücke nach dem Scan vorliest, nur bedingt etwas. „Der liest ohne Punkt und Komma, aus Telefonnummern macht er Millionenzahlen“. Viel Unterstützung erfährt Winklmann von Kolleginnen und der Chefin. Denen mailt sie Berichte oder größere Schriftstücke zu und diese korrigieren sie regelmäßig. „Das klappt total gut“, freut sich Winklmann und erzählt von vielen Gelegenheiten, in denen Kollegen ihr schnell etwas vorlesen oder in die Hand drücken, was sie übersehen hat. „Mühsam ist es manchmal in der Mittagspause, wenn ich die Speisekarte nicht richtig lesen kann“, erzählt sie über Einschränkungen, die ihre Behinderung mit sich bringt. Manchmal maulten Leute, warum sie denn keine Brille aufsetze.

Bei ihrer Geburt, erläutert sie ganz offen, „ist der Sehnerv bei mir abgeknickt worden“. Das habe dazu geführt, dass die Verbindung zum Gehirn unterbrochen sei. Ein wenig Sehkraft hat sich noch entwickelt und ihr Gesichtsfeld funktioniert komplett. Als junge Frau konnte sie daher eine normale Schule besuchen und Abitur machen. Die Eltern hatten ihr freigestellt, ob sie eine Blindenschule besuchen wolle. Ein Pädagogikstudium, das ihr zu theorielastig war, führte zu beruflichen Umwegen als Hauswirtschafterin und in ein Frühförderzentrum für junge, körperbehinderte Menschen, bevor sie im Sozialpädagogik-Studium mit Schwerpunkt Reha ihre eigentliche Berufung fand. Die anschließende Bewerbungsphase war dann allerdings „alles andere als einfach“. Es kam zu vielen Vorstellungsgesprächen, die ihr fast immer „beste fachliche Voraussetzungen“ attestierten, aber Skepsis äußerten, ob sie „das schaffe“. Im Werkhof, einem anerkannten Integrationsbetrieb, fand sie schließlich das aufgeschlossene Unternehmen mit dem passenden Job. Zunächst befristet in einer Maßnahme für Alleinerziehende, seit einigen Jahren dauerhaft als Sozialpädagogin. Mit „meinen 25 Stunden hier bin ich sehr zufrieden“, lächelnd sie entspannt. Am meisten Spaß mache es ihr, „dass ich nicht nur pädagogisch arbeiten muss, sondern auch mal ins Lager komme, in die Nähstube und zur Anlieferung, wenn Spenden für das Gebrauchtwarenhaus angeliefert werden“.

Im Alltag findet sich die selbstbewusste, gewandte Sozialpädagogin ziemlich gut alleine zurecht. Beim Geld rausgeben im Supermarkt „dauert es meist etwas“, beim Lesen sowieso und wenn sie bei starker Sonneneinstrahlung auf der Straße laufe, müsse sie „sehr vorsichtig gehen. Das schaut für andere manchmal aus, als wenn ich was genommen hätte“. Auch erkenne sie Gesichter nur, wenn sie Menschen länger kenne. Aber „das Auge lernt und merkt sich unheimlich viel“, veranschaulicht sie einen Vorgang, der ihr seit frühester Kindheit einen Vorteil anderen gegenüber verschafft. „Ich habe fast alle Durchwahlnummern vom Jobcenter und Landratsamt im Kopf“, feixt sie fröhlich, „und kenne die Zugpläne alle auswendig“. Heute, wo viele ihre Daten nur noch im Handy gespeichert haben, verschafft ihr das einen unschätzbaren Vorsprung.